Vorbildhafte Entscheidungen

Konsensieren mit Kindern

Ich weiss nicht, wie es Ihnen und Euch geht – aber ich kenne mehrere Gruppen, in denen scheinbar endlos über eine Fragestellung oder eine anstehende Entscheidung diskutiert wird. Argumente fliegen hin und her, die einen versuchen, die anderen zu überzeugen, während einige nur noch still dasitzen – und am Ende ringt sich die Gruppe mit „Ach und Krach“ und müden Gesichtern zu einem Kompromiss durch. Und was folgt dann häufig? Na, dass beim nächsten Treffen das gleiche Thema wieder auf den Tisch kommt. Denn in der Zwischenzeit ist nichts passiert oder nur wenige haben sich gekümmert und sind ob der fehlenden Unterstützung frustriert. Der Rest schweigt entweder oder boykottiert sogar, nach dem Motto „Ich hab’s ja gleich gesagt, dass Lösung XY besser gewesen wäre.“

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Ja, so passiert das bei uns Erwachsenen – mal mehr, mal weniger. Ok, gehört dazu. Aber: Ist das etwas, was wir an die nächste Generation weitergeben möchten?
Falls Sie jetzt sagen,
ne, eigentlich nicht, dann habe ich einen Vorschlag für Sie.
Vielleicht haben die Erfinder des „Systemischen Konsensierens“, Erich Visotschnig und Siegfried Schrotta, ähnliche Erfahrungen gemacht und deshalb eine Alternative entwickelt. Und ich finde, das ist ihnen gelungen. Hier das gesamte Konzept des Systemischen Konsensierens darzustellen, würde den Rahmen sprengen. Aber einen kleinen Ausschnitt, wie wir Kindern einen Weg aufzeigen können, im Entscheidungsprozess alle mitzunehmen, das sollte doch möglich sein.

Merke: Wir bringen den Kindern Radfahren auch nicht an der Hauptstraße auf einem 24-Zoll-Rad bei. Fangt mit einfachen, kurzen Beispielen an, um die Methode zu üben.

Nehmen wir als Beispiel eine Faschingsfeier, bei der mit den Kindern gemeinsam das Thema ausgesucht werden soll.
Die bisher gängigste Variante „Mehrheitsentscheid“ könnte folgendermaßen aussehen:
Von 15 Kindern sind acht für das Thema Autos, auch deshalb, weil die beiden Alpha-Tiere der Gruppe gerade im Ferrari-Fieber sind. Zwei andere Kinder schlagen das Thema Dinos vor, eines möchte Dschungel und die restlichen Kinder sagen nichts. Bei einer Abstimmung, bei der jedes Kind eine Stimme hat, ist die Entscheidung für das Thema Autos ziemlich sicher, mit 8 Für- und 7 Gegenstimmen eine knappe Entscheidung – und damit ist der Frust der anderen, die mit dem Thema Autos nichts anfangen können, vorprogrammiert. Frei nach dem Motto „Widerstand, der keinen Platz im System hat, richtet sich gegen das System.“

Eine Alternative könnte beispielsweise so aussehen: Wir setzen uns mit den Kindern zusammen und sagen: „Wir würden gerne ein Faschingsthema mit euch aussuchen, das sich für alle gut anfühlt.“ Denn wenn alle mit einem Thema einverstanden sind, ist die Stimmung in der Gruppe auch angenehmer und die Vorfreude beim Schmücken und Vorbereiten lebt in allen. Das weitere Vorgehen wäre folgendermaßen:

Drei bis fünf Vorschläge sammeln: Zunächst werden Ideen gesammelt, welche Themen für die ganze Gruppe toll sein könnten, und mit Bildern verdeutlicht. Möglich sind Nachfragen wie „Und glaubst du, dass das ein Thema ist, was für alle interessant sein könnte? Fällt euch ein, wie die Autofans sich bei dem Thema verkleiden könnten?“

Passiv-Lösung“ benennen: Was passiert, wenn wir keine Lösung finden. Beispielsweise: „Wenn wir bis morgen keine Lösung mit weniger als 10 Widerständen haben, dann feiern wir ohne ein Thema.“ oder „…dann entscheiden wir Erwachsenen, was das Thema ist.“

Widerstands-Gegenstände verteilen: Jedes Kind bekommt drei gleichfarbige Gegenstände, z.B. Holzklötzchen, gleichfarbige Murmeln oder Papierschnipsel für seine Widerstände. Drei Gegenstände heißt: finde ich ganz doll blöd, zwei Gegenstände steht für: finde ich doll blöd und ein Gegenstand: finde ich etwas blöd. Wenn jedes Kind eine eigene Farbe erhält, ist später besser nachvollziehbar, wer besonders viel Widerstand in die Mitte gelegt hat.

Lösung vorstellen: Ein Kind stellt ein Thema kurz vor und alle überlegen, wie groß ihr Widerstand wäre, wenn dieses Thema für Fasching gewählt wurde (super mega blöd: drei Gegenstände, dolle blöd: zwei Gegenstände, etwas blöd: ein Gegenstand) und legt die entsprechende Anzahl von Widerstandsgegenständen in die Mitte.

Bedürfnisse hören: Die Kinder, die zwei oder drei Widerstände hingelegt haben, werden gefragt was sie brauchen, damit die Widerstände weniger werden. Eine Antwort könnte sein „Ich finde Autos blöd“ oder „Ich weiß gar nicht, wie ich mich da verkleiden soll“. Die gesamte Anzahl an Widerständen wird notiert oder besser: mit Klötzchen einer neutralen Farbe zu dem Bild gelegt.

Lösung vorstellen: Jedes Kind nimmt die eigenen Widerstände wieder zu sich und der nächste Vorschlag ist dran.

Entschluss: Am Ende wird die Lösung mit den wenigsten Widerstandsgegenständen gewählt. Haben alle Vorschläge sehr viele Widerstände ist es sinnvoll, die Frage noch einmal neu zu formulieren oder auf die Passiv-Lösung zurückzugreifen.

Mit der Zeit können die Kinder besser formulieren, warum sie ein Thema nicht wollen („Ich hab kein passendes Kostüm“, „Bei Elfen ist ja alles rosa und rosa mag ich nicht“) und diejenigen, die ein Thema vorschlagen, erkennen den Reiz, das Genannte in ihrem Themenvorschlag zu berücksichtigen. „Wir schlagen das Thema Elfen im Wald vor und natürlich könnt ihr euch auch als Trolle oder andere Wesen aus dem Wald verkleiden, manche von denen haben bestimmt auch Schwerter.“ „Ich schlage das Thema Polizei vor. Ich habe zu Hause drei Kostüme, die kann ich mitbringen und wir teilen die. Es gibt auch Polizisten, die haben Röcke an und eine Frisur mit Haarspangen.“

Je nachdem, ob die Kinder das Vorgehen bei Mehrheitsentscheidungen von den Erwachsenen schon übernommen haben, braucht es einige Zeit, bis sie sich auf diese Vorgehensweise einlassen. Nach etwas Ausprobieren und Üben merken die Kinder meist, dass sie für jede Entscheidung wieder alle Widerstände zur Verfügung haben und sie sich eben nicht, wie beim Mehrheitsentscheid für eine Lösung entscheiden müssen.

Auch Erwachsene brauchen häufig mehrere Runden, um zu erkennen, dass es Vorteile bietet, alle Lösungsideen einzeln zu betrachten und bei jeder Lösung sich wieder neu zu fragen „Wie groß wären meine Widerstände, wenn diese Lösung gewählt würde?“ Das Vermeiden von Schlagabtäuschen, vom Argumentieren und die häufig ermüdenden Versuche, sich zu übertrumpfen, werden ergänzt durch die Möglichkeit, die vorhandenen Lösungsideen je nach Bedürfnissen der Gruppe nachzubessern. Und das, ohne dass wieder alle vorhandenen Vorschläge neu abgestimmt werden müssen. Ein weiterer Nebeneffekt dieser Methode ist die Zunahme von kreativen Lösungsvorschlägen und dem Spaß daran, nach weiteren Alternativen zu suchen. „Also, dann schlage ich das Thema Wunschewald vor. Das ist nämlich ein Wald in dem es ganz schöne viele verwunschene Wesen gibt. Mit Flügeln und auch in dunkelgrün und da kann man auch eine Polizeimütze aufhaben.“

Voraussetzungen, damit das Konsensieren gelingen kann

  • Erwachsene haben die Methode vorab geübt
  • Die Entscheidung darf von den Kindern wirklich getroffen werden
  • Vetomöglichkeiten der Erwachsenen sind transparent „Wenn wir bis morgen keine Entscheidung finden, dann treffen wir Erwachsenen die Entscheidung.“
  • Erwachsene bringen Geduld für den Prozess und verschiedene Worte für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder mit
  • Bei jüngeren Kindern, denen es schwerfällt, eigene Ideen zu entwickeln, können auch drei Alternativen vorgegeben werden und nur ein Widerstandsgegenstand pro Kind herausgegeben werden

    Fazit: Auch wenn ein Vorgehen nach der Methode des Systemischen Konsensierens zunächst aufwendiger scheint, als einfach abzustimmen, so lohnt es sich bei Entscheidungen, bei denen keine klare Mehrheit abzusehen ist, aus meiner Sicht auf jeden Fall. Einerseits werden Widerstände und Blockadehaltungen gegen Entscheidungen reduziert und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine Entscheidung von vielen mitgetragen wird. Und gleichzeitig leben wir den Kindern eine Alternative vor, wie Entscheidungen im Konsens getroffen werden können und wie es möglich wird, kreative Lösungen zu finden, in denen sich möglichst viele gesehen fühlen.

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